Überraschendes aus dem „Paradies der Rothirsche“ - Exkursion Grafenwöhr

15. Okt 2023

Warum im Truppenübungsplatz Grafenwöhr rund 5000 Stück Rotwild als Landschaftspfleger gerne gesehen sind

Auf den ersten Blick schien unglaublich, was Leitender Forstdirektor a.D. Ulrich Maushake und sein Nachfolger, Forstdirektor Alexander Krone, einer Gruppe von Jägern aus dem Landkreis Cham und vier Forstreferendare aus Mecklenburg-Vorpommern bei einem Besuch am Truppenübungsplatz Grafenwöhr vorstellten. Auf dem 23 000 Hektar großen Militärgelände, das von der US-Army genutzt und von den Bundesforsten betreut wird, leben rund 5000 Stück Rotwild (Frühjahrsbestand), obwohl hier 1000 bis 2000 Soldaten Tag und Nacht scharf schießen – und dabei vom Schnellfeuergewehr bis zu Panzerhaubitzen schwerster Kaliber alles einsetzen, was im Training für den Kriegsfall geeignet ist.

Als „Landschaftspfleger“ dienen die Hirsche vor allem auf den weitläufigen Offenlandflächen, in denen allein 43 Schießbahnen integriert sind, die vor allem für gepanzerte Militärverbände ideale Trainingsmöglichkeiten bieten. Nach militärischen und naturschutzfachlichen Gesichtspunkten muss die Offenlandpflege erfolgen. Das Gelände ist deshalb auch ein bundesweit bedeutendes Rückzugsgebiet für zahlreiche bedrohte Pflanzen- und Tierarten, alleine 800 Rote-Liste-Arten kommen hier vor. Dazu kommen 4600 Biotope, Fauna-Flora-Habitate ebenso, wie Grafenwöhr als EU-Vogelschutzgebiet von Bedeutung ist. Rund die Hälfte des Truppenübungsplatzes besteht aus halboffenen Parklandschaften. Für Ulrich Maushake, der 28 Jahre lang als Leitender Forstdirektor nicht nur das Konzept mit Rotwild als Landschaftspfleger konsequent umsetzte, sondern aus dem einstigen Kiefern-Reinbestand mit Naturverjüngung einen Mischwald mit 30 Prozent Laubholzanteil entwickelte, ist das Rotwild wichtiger Partner. In den Schießpausen strömen Rothirsche, Alttiere, Schmaltiere und Kälber in großen Verbänden auf die Freiflächen, wo sie genügend Äsung finden. Durch dieses Konzept werden Verbiss- oder Schälschäden im Wald weitgehend vermieden, erklärte Ulrich Maushake.

Für das Militär – Grafenwöhr ist Ausbildungslager der 7. US-Army, dient Bundeswehr und verschiedenen Nato-Verbänden als Übungsgelände und wird aktuell auch von ukrainischen Verbänden zur Schulung auf den amerikanischen Abrams-Panzern genutzt – ist das Wildmanagement ein integraler Bestandteil der Geländebetreuung, erläuterte der langjährige Chef des Bundesforstes in diesem Bereich. Durch den Verbiss des Rotwildes werden Gebüsch – und Waldsukzession verhindert, vor allem die unkontrollierte Ausweitung von Sand- und Schwarzdornbüschen im Offenland wird dabei unterbunden. Nach Aussage von Ulrich Maushake wäre das durch andere Nutztiere wie Schafe oder Rinder nicht möglich, weil diese hinter Zaun gehalten werden müssten und auf den laufenden Schießbetrieb nicht so gelassen reagieren würden, wie das Rotwild. Die militärische Nutzung habe Vorrang, der US-Army ist laut Nato-Truppenstatus die alleinige militärische Nutzung des riesigen Übungsplatzes übertragen.

Rotwild könne seine Feindvermeidung an berechenbare Störeinflüsse anpassen, erklärten Ulrich Maushake und sein Nachfolger Alexander Krone. Die Art und Weise der Jagdausübung ist nach ihren Erkenntnissen ein entscheidender Faktor für das Entstehen von Wildschäden. Eine falsche Jagdstrategie und mangelnde Sachkunde bei der Jagd werden vom Wild als massive Störung empfunden und führen zu einem entsprechenden Feindverhalten. Deshalb setzt der Bundesforst in Grafenwöhr auf eine Verkürzung der Bejagungszeiten, auf eine störungsarme und effektive Bejagung und Lenkung des Rotwildes durch Ruhe und Äsung. Der überwiegende Anteil des Kahlwildes und geringer Hirsche wird bei groß angelegten Ansitzdrückjagden ab Mitte Oktober mit 70 bis 80 erfahrenen Schützen auf einer Fläche von 2000 bis 3000 Hektar mit wenigen Hunden angejagt, so dass Wild vertraut an den Schützenständen auftaucht. Die Einzeljagd auf Trophäenträger zur Hirschbrunft Ende September muss inclusive Abtransport der erlegten Tiere so störungsfrei wie möglich erfolgen. Nachtjagd ist in Grafenwöhr nicht erlaubt, ebenso müssen Erlegungen im Großrudel bei der Einzeljagd unterbleiben.

Das schlüssige Konzept für Wald und Wild sieht Ulrich Maushake aktuell durch eine neue Entwicklung bedroht: Nachdem mehrere Jahre Einzelwölfe am Truppenübungsplatz gesichtet worden waren, sind aktuell zwei bis drei Wolfsrudel mit jeweils bis zu acht Tieren aktiv. „Wir erleben eine Wolfsexplosion“, ist der erfahrene Forstmann überzeugt. Längst zeige sich, dass Schutzzäune für Wölfe überwindbar sind und sogenannte Herdenschutzhunde, die schwer zu halten sind, könnten mittelfristig mehr Probleme machen, als die Wölfe selbst, gibt Maushake zu bedenken. Deshalb wurde in Grafenwöhr auch ein neues Forschungsprojekt zum Einfluss der Wölfe auf die Wildbestände eingeleitet.

Bildtexte: 

Rotwild-Rudel mit bis zu 100 Köpfen sind auch tagsüber auf den Freiflächen des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr anzutreffen. Fotos: Dachs

Gruppenbild Leitender Forstdirektor Ulrich Maushake (5.v.l.) und sein Nachfolger Alexander Krone (3.v.r.) informierten Jäger aus dem Landkreis Cham und Forstreferendare aus Mecklenburg-Vorpommern.